Eine – im Grunde gute – Geschichte
Es ist noch nicht lange her, als Julio Diaz, ein junger Sozialarbeiter aus New York, die U-Bahn nach Hause in die Bronx nahm. Wie an fast jedem Werktag stieg er eine Haltestelle vorher aus, um in seinem Lieblings-Diner einen Happen zu essen. An dem Abend verlief der Spaziergang zum Restaurant völlig anders. An der Treppe zur ausgestorbenen U-Bahn-Station sprang plötzlich ein junger Mann aus dem Schatten. Ein Jugendlicher mit einem Messer in der Hand. «Ich gab ihm mein Portemonnaie», sollte Julio später einem Journalisten erzählen. Der junge Mann griff sich das Geld und wollte gerade weglaufen, als Julio plötzlich etwas Unerwartetes tat. «Hey, warte mal», rief er. «Wenn du noch den ganzen Abend Leute ausrauben willst, könntest du vielleicht auch meine Jacke mitnehmen, um dich warm zu halten.»Der Räuber sah Julio ungläubig an. «Warum tust du das?»

«Wenn du für ein paar Dollar deine Freiheit riskieren willst», sagte Julio, «denke ich, dass du das Geld wirklich brauchst. Das Einzige, was ich wollte, war, eine Kleinigkeit zu essen. Wenn du übrigens auch was willst … du bist mehr als willkommen.»
Und so geschah es. Kurz darauf saßen Julio und der Räuber einander in Julios Lieblingsrestaurant gegenüber. Die Kellner begrüßten sie herzlich. Der Manager kam zu einem Schwatz vorbei. Auch die Tellerwäscher sagten hallo. «Du kennst hier jeden», sagte der junge Mann verwundert, «bist du der Eigentümer oder so?»
«Ach was», antwortete Julio. «Ich esse hier nur oft.»
«Aber du bist sogar nett zu den Tellerwäschern!» «Hat man dir denn nicht beigebracht, zu jedem nett zu sein?» «Ja, sicher», antwortete der junge Mann, «aber ich hätte nie gedacht, dass jemand das auch wirklich tun würde.» Als Julio und der Räuber mit dem Essen fertig waren, kam die Rechnung. Das einzige Problem: Julio hatte kein Portemonnaie mehr. «Hör mal», sagte er zum Räuber, «ich glaube, dass du das hier bezahlen musst, denn du hast mein Geld. Aber wenn du mir mein Portemonnaie zurückgibst, lade ich dich gern ein.»Der junge Mann überreichte ihm das Portemonnaie, woraufhin Julio die Rechnung bezahlte und anschließend seinem Gegenüber zwanzig Dollar gab. Die kleine Zuwendung war allerdings an eine Bedingung geknüpft: dass der Junge ihm dann auch das Messer überlasse.
Als Julio ein paar Wochen später von einem Journalisten gefragt wurde, warum er seinen Räuber zum Essen eingeladen habe, brauchte er nicht lange nachzudenken. «Wenn du Menschen gut behandelst, kannst du nur hoffen, dass sie dich auch gut behandeln. Einfacher wird es nicht in dieser komplizierten Welt.»
Als ich einem Freund von Julios Heldentat erzählte, reagierte er spontan und unumwunden.«Hast du mal ein Taschentuch? Ich muss weinen.»
Aus dem Buch: Im Grunde gut: Eine neue Geschichte der Menschheit, von Rutger Bregman. Erschienen im Rowohlt Verlag.
Für alle, die von der medialen (und sonstigen) Grausamkeit ein bisschen Pause brauchen und dem Machiavellismus noch nie viel abgewinnen konnten: Lest das mal. Wenn ihr Pro Machiavellismus seid: Auch lesen 😀 Das Buch fordert einen Paradigmenwechsel hin zu einem (für meinen Geschmack etwas sehr) optimistischeren Menschenbild. Bregman erklärt uns, dass viele unserer negativen Annahmen über die menschliche Natur auf fehlerhaften – zumindest aber lückenhaften – Studien und selektiver Geschichtsschreibung beruhen. Seine Vision einer auf Kooperation basierenden Gesellschaft ist wissenschaftlich fundiert. Auch wenn ich manche seiner Schlussfolgerungen nicht mitgehe, und er zum Ende hin wohl auch selbst ein bisschen merkt, dass er ein bisschen über das „gute Ziel“ hinausgeschossen ist. Macht aber trotzdem (einigermaßen) gute Laune, mal was Nettes über den Homo Puppy zu lesen. Ganz im Sinne von „Survival of the Friendliest“….looking at you, CDU-Deutschland.